Restoring Basic Goodness
Ein wesentliches Merkmal unserer Zeit besteht darin, das wir die uns umgebenden Prozesse immer tiefer verstehen und das Wissen darüber immer schneller weltweit ausgetauscht wird. Ein größeres Prozessverständnis bei gleichzeitig höherer Informationsverbreitung stellt uns vor immer komplexere Herausforderungen, deren Bewältigung ein global vernetztes Zusammenwirken unterschiedlichster Beteiligter benötigt. Ganze Industrien wandeln sich, über Jahre gewachsene Regeln und Gemeinschaften stehen auf dem Prüfstand und die Veränderung des globalen Klimas werden immer deutlicher spürbar. Alles ist miteinander vernetzt und die vielfältigen systemischen Wechselwirkungen lassen uns nur all zu oft überfordert oder ohnmächtig zurück.
In dieser Situation sind starke Führer im Aufwind, die vermeintlich allwissend (oder eher besser-wissend) aus dem Schlamassel hinausführen sollen. Doch viele von uns erkennen, das die individuelle Exzellenz einzelner Personen oder auch ganzer Gemeinschaften alleine nicht ausreicht, um den heutigen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen. Wir erleben, das notwendige Veränderung nicht oder nur selten aus den bekannten Strukturen heraus stattfindet. Entscheidende Impulse entstehen dort, wo sich Individuen ermächtigen, zusammenschließen und handeln.
Genau hier setzt das Presencing Institut (PI) mit der Theorie U von Otto Scharmer an. Mit den jährlich stattfindenden u.lab MOOCs ("Massive Open Online Courses") fördert und unterstützt es den Zusammenschluss von Menschen, die das starke Bedürfnis verspüren dieser Welt einen neuen Spin hin zu einem ganzheitlichen, nachhaltigen, ökologischen Bewusstsein zu geben.
Die U.lab Kurse gehen dabei über die reine Theorievermittlung und die Verbindung und Aktivierung Einzelner und interdisziplinärer Gruppen hinaus. Im Kernmoment des U-Prozesses (s. Abbildung), dem Presencing (Presence - Sensing), wird eine Verbindung zu einem transpersonalen Größerem kultiviert. Am Boden des U, in der Stille zwischen dem Loslassen des Bekannten und dem Aufsteigen-Lassen des zukünftigen Potentials wird die Verbindung zu einem universellen Wissen ("Source") gefördert, welche über das Individuelle (Ich) und das Kollektive (Wir) hinausweist. Die in unseren Gesellschaften omnipräsente Ambition zur Kontrolle wird im Moment des Presencing zugunsten einer Haltung gemeinsamen Empfangens ('Don't try to fix it') aufgegeben. Im Ablauf einer Case Clinic wird die Wirkung dieser Haltung besonders deutlich. Immer wieder berühren und vor allem bewegen die Impulse eines "Open Mind, Heart and Will" die Anliegengeber ("Case Giver") nachhaltig.
Dabei kommt der Qualität des Feldes im Moment der Stille, des Presencing, eine besondere Bedeutung zu. Um dies zu verdeutlichen, verwendet Otto Scharmer auf Basis seiner landwirtschaftlichen Wurzeln gerne die Analogie der Vorbereitung und Pflege des Bodens ("Preparing the soil"). Die Qualität des Bodens bestimmt darin wesentlich die Qualität der Ernte. Auf (transformatives) Handeln bezogen bedeutet dies, das die Qualität des Presencings, des Moments in dem Neues entsteht, die Grundlage für die Durchführungs- und Ergebnisqualität unserer Handlungen bildet. In einer guten Präsenz wird ein kraftvoller Samen gesetzt.
Doch wie lässt sich die Qualität von Präsenz entwickeln und kultivieren?
Im individuellen Bereich haben hier in den letzten Jahren zahlreiche Achtsamkeitsübungen für Geist und Körper (MBSR, Meditation, Tai Chi, Yoga, ...) ihre Verbreitung gefunden. Mit dem Social Presencing Theater (SPT) werden diese Präsenzübungen um die soziale Dimension bereichert. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf den Raum zwischen uns, auf ein "Was will sich im Feld entfalten". In regelmäßiger Praxis ausgeübt ist das SPT so eine effektive und tiefgreifende Methode um eine Haltung gemeinsamen Empfangens zu kultivieren und den Boden für tiefes Presencing zu bereiten. Teilnehmer von Praxisgruppen oder längeren Retreats wie dem Movalogue berichten immer wieder von dieser bereichernden Erfahrung und davon, wie die nährende Qualität gemeinsamer Präsenz zunehmend in ihr Leben einsickert.
Bei der Arbeit und im Alltag zeigt sich das durchaus auch herausfordernd, da die erlernte Haltung kontrollierter Veränderung ("Control & Conquer") zugunsten einer Führung aus dem Feld ("lauschen, was entstehen will") aufgegeben werden muss. Dem bisher liebevoll großgezogenen Ego gefällt das oft nicht. Es neigt dazu ungeduldig "dazwischen zu gehen" , um so dem Erfolg "Bahn zu brechen". Leisere Stimmen werden nicht gehört oder beiseite gedrängt. Wer kennt sie nicht, die Momente überzogenen Wollens, denen wir später Tribut in Form ausgebrannter Erschöpfung oder Krankheit zollen. Ein geduldiges Warten auf das, was wirklich Geschehen will, braucht eine hohe innere Stabilität, ein tiefes Gegründet-Sein und ein Hinterfragen und Loslassen vieler erlernter Muster.
Doch die Auseinandersetzung mit den Geburtsschmerzen eines neuen Bewusstseins, in dem der Mensch in Bezug zu den ihn umgebenden Ökosysteme steht , lohnt sich. Im aufsteigenden Teil des U's erwartet uns eine neue Perspektive, frische Energie und Mut, um Veränderung in einzelnen Schritten anzugehen und nicht zuletzt eine tiefere Verbindung zu uns, den anderen und der Quelle des Lebens.
Schon Hermann Hesse wusste: "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. "